In einer Szene von "Die Verwundbaren" werden Mäuse aus einem Käfig freigelassen. Einer der Charaktere kommentiert dies mit "Sie werden krepieren."
Diese Szene ist die Essenz dieses österreichischen Films aus dem Jahr 1967 denn ebenso verwundbar wie die Mäuse sind die Charaktere von Leo Tichat's einzigem Spielfilm. Auch sie zerbrechen an der sich plötzlich - bedingt durch das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit - bietenden Freiheit. Den jungen Protagonisten scheint es materiell gut zu gehen aber dennoch sind sie weit davon entfernt, glücklich zu sein. Insofern wirkt der Film sehr modern und könnte ebenso gut heute spielen oder beispielsweise im dekadenten Los Angeles der 80er Jahre von Bret Easton Ellis' nihilistischem Roman "Less than Zero".
Stilistisch geht der Film eigene Wege. Während manche Szenen mit ihren unverfälschten Aufnahmen an Originalschauplätzen vor allem an das französische Kino erinnern, gibt es dann wieder Einstellungen in denen die künstlerische Ausbildung des Regisseur sichtbar wird. In diesen kontrastreichen Bildern werden vor allem die Gesichter der Figuren in den Mittelpunkt gestellt während der Hintergrund - ähnlich wie in der Photographie - oft unscharf bleibt. Einen wichtigen Beitrag zur Atmosphäre des Films liefert der Cool Jazz Soundtrack von Erich Kleinschuster. Für damalige Verhältnisse war der Film sehr freizügig, er thematisiert sogar eine - damals gesetzlich verbotene - homosexuelle Beziehung. Dies ist auch der Grund warum der Film in einer umgeschnittenen Fassung unter dem Titel "Engel der Lust" in Wiener Sexkinos gezeigt wurde.
"Die Verwundbaren" ist ein einzigartiger, leider fast vergessener Film in der österreichischen Filmgeschichte. Offensichtlich inspiriert vor allem von der Nouvelle Vague bleibt Leo Tichat's Film dennoch ein Unikat. Er ist ungleich düsterer als vergleichbare europäische Filme, sozusagen die morbide Wiener Version von Filmen wie Godards "Masculin féminin" oder Fellini's "I Vitelloni". Weitere Paralellen findet man bei Jean Cocteau oder dem ebenso unbekannten englischen Film "The Party's Over". Verstecken muss sich der Film vor all diesen Vorbildern trotz technischer Unvollkommenheit nicht. Er ist zwar bei weitem nicht perfekt aber authentisch, stimmungsvoll und auf einem hohen künstlerischen Niveau.
7/10
Das obskure Objekt der Begierde: "Die Verwundbaren" |
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